Grußwort von Susanne Klein

Grüß Gott, lieber Herr Bürgermeister, liebe Hörlbacher, Sie kennen mich nicht – Susanne Klein – ich bin die Tochter von Eitel Klein, der heute hier an seinem Geburtsort Hörlbach mit einem Gedenkstein geehrt werden soll.

Jetzt halte ich hier meine erste Rede.

Meinen Vater habe ich nie eine Rede halten hören, ich kann mich da an nichts erinnern, aber er war ein großer Erzähler.

Zu jeder Gelegenheit hatte er eine passende gute Geschichte parat. Die Leute hörten ihm gern zu. In Gesellschaft war oft er der Unterhalter.

Und er benutzte die Geschichten als Beispiel für seine Argumentationen. So sah er sein Leben nämlich, als beispielhaft. Schließlich hatte er die Dinge so oder so erlebt und deshalb war das allgemeingültig. Das hat mir später die Diskussionen mit ihm erschwert: Seine Behauptung, das kann doch nur so und so sein, denn schließlich ist es so gewesen. 

Aber als ich ein kleines Mädchen war, erzählte er mir die Geschichten aus Hörlbach, natürlich auch teilweise mit pädagogischem Hintergrund, aber man konnte sie auch zum reinen Vergnügen hören. Mit Hörlbach bin ich sozusagen aufgewachsen.

Die Warnung vor Blitzschlägen zum Beispiel, steckte in einer spannenden Geschichte:

Es war ein Hochgewitter. Ganz ohne Regen. Ich erfuhr, es gibt Gewitter ohne Regen. Ein Bauer war mit der Egge draußen. Ich erfuhr, was eine Egge ist. Er wollte nicht aufhören zu eggen, denn es regnete ja nicht. Metall bei Gewitter ist gefährlich, lernte ich, und wieviel Metall an so einer Egge war! Der Bauer mit seinem Pferd und der Egge dickköpfig auf dem Feld unterwegs, obwohl es blitzte und donnerte. Da gab es endlich den erwarteten Riesenschlag. Der Bauer war zu Tode erschrocken, aber unverletzt und sein Pferd auch. Es stellte sich heraus: Der Blitz, der einschlägt wo er will, hatte nicht in die Egge geschlagen, sondern in einen Pferdestriegel, an dem auch irgendein Metallbeschlag dran war. Rundherum war alles verbrannt  und es hatte nur ein paar Meter von dem Bauern entfernt eingeschlagen. Ich fragte: Was hat er dann gemacht? Zitternd wird er sein Pferd ausgespannt haben und schnell nach Haus gegangen sein. Also: Bei Gewitter immer schön zu Hause bleiben!

Mein Großvater war der Dorfschullehrer, unter paradiesischen Umständen. Ich erinnere mich an die Zahl von vierzehn Schülern quer durch alle Altersstufen. Meine Oma war die Handarbeitslehrerin. Und wie konnte die nähen, sticken und häkeln! Das war bewiesen, denn schließlich lagen Sachen von ihr immer noch in unserem Wäscheschrank. Die Großeltern hießen „die Pariser“, weil meine Oma ein Modeheft geschickt bekam, aus dem sie ihre Garderobe nähte. Sie trug die allergrößten Hüte, wie man auf einem Bild vom Lehrertreffen sehen kann. Um sich vor den Leuten nicht lächerlich zu machen, soll sie, wenn sie mit dem Zug in die Stadt fuhr, einen Koffer mitgenommen und sich im Gebüsch am Bahnhof umgezogen haben.

Man fuhr natürlich mit dem Zug. Niemand hatte ein Auto. Bis auf den Doktor. Wenn das Auto kam, liefen die Kinder zusammen, um sich das Wunder anzuschauen. Irgend jemand hatte eine Maschine, die einen Heidenlärm machte, vielleicht eine Dreschmaschine. Ich weiß aber noch, welcher Vers gerufen wurde, wenn drei Leute im Kreis zum Dreschen standen und nacheinander auf das Korn einschlugen: „Zum Zipfel, zum Zapfel, zum Kellerluch nei!“

Von den Menschen in Hörlbach ist mir vor allem das Ehepaar Schweinesbein in Erinnerung. Vor dem Schulhaus muß das Armenhaus gestanden sein, in dem die zwei Alten wohnten. Angeblich hießen sie beide vor ihrer Hochzeit schon Schweinesbein und waren nicht miteinander verwand. Die Liebe zu freundlichen alten Hexen, die auf seinen Zeichnungen immer wieder zu sehen sind, hat mein Vater von der Frau Schweinesbein. Es kann da nur alles andere als sauber zugegangen sein, denn wenn die Schweinesbeini ihn zur Griemersuppen einlud, die gewuzelten Nudelteig zur Einlage hatte, wartete er immer bis die zweite Portion gekocht wurde, weil sie dann ihre Hände durch das Teigrollen gesäubert hatte.

Der Stretzerfritz war der Freund meines Vaters, mit dem er, soweit ich weiß, alles unternahm. Meine Tante die damals noch Gretel hieß, war älter und die Mädchen waren die Feinde der Buben. Es kann sein, daß deren Freundin die Hüttmeiers Marie war. An den Namen erinnere ich mich.

Im Gänsweiher, gibt es den noch?, spielten die Kinder, sie wären Gänse, und entdeckten daß es da Fische gab. Forellen behauptete mein Vater im nachhinein. Die ließen sich aber nicht so einfach fangen.

Ein Eichhörnchen hat der Vater im Wald verfolgt und gejagt, bis es tot vom Baum fiel und es ihm furchtbar leid tat.

Die Ziegen mußte er hüten und hat ihre kluge Frechheit kennengelernt. Die Alte war angepflockt und wenn er nicht hinschaute, hebelten die Viecher den Stock aus dem Boden und liefen davon. Er rannte den Kleinen hinterher, derweil ging die Alte an sein Buch und fraß das Papier.

Ganz wichtig war der Obstklau. Mit den Geschichten war nicht etwa die Ermahnung verbunden, nicht zu stehlen, sondern lieber Obst zu essen, als die ganzen Zuckersachen, die es in des Vaters Kindheit ja schließlich auch nicht gegeben hätte. Das einzig Süße wäre das Obst gewesen. Sie haben, damit die Äpfel schneller reifen, mit Brettern auf die am Baum hängenden gehauen, damit sie einen Matzen haben und wahrscheinlich täglich geprüft, ob es soweit ist, daß man sie ernten kann. Die Tante Gretel hat, da war sie schon an die siebzig, als wir mit ihr einmal nach Hörlbach gefahren sind, sie wohnte inzwischen in Spanien, auf die Wiese gezeigt, auf der die Apfelbäume standen. Sie sagte: „Wie klein das alles ist. Mir kam der Weg vom Zaun bis zu den Bäumen immer endlos vor, wo sie uns gut sehen konnten, daß wir aufs Äpfelstehlen aus sind.“

Es gab die Geschichte vom Fesselballon, der in der Nähe landete und wie alle gelaufen gekommen sind, sogar aus Massenbach, und wie mancher im Schlafanzug war, es war vielleicht Sonntag und früh am Tag.

Mein Vater wollte so gern ein Pferd und hat ein Pferdchen aus Lehm modelliert. Dann betete er und forderte Gott auf, wenn er ein Gott wäre, solle er es ihm lebendig machen. Ich sah das Pferd im Geist schon losgaloppieren, aber Gott reagierte nicht. Vielleicht kam aus dieser frühen Enttäuschung die Religionsskepsis meines Vaters.

Jedenfalls war mein Vater im Krieg der einzige, der in tiefster Kälte in Rußland bei Glatteis die Pferde zum Laufen brachte, indem er ihnen zuredete. Das ganze Rußlandtrauma hat er vielleicht nur überlebt, weil er so eine Liebe zum Land hatte. Es gibt Zeichnungen und sogar farbige Blätter, auf denen er nur das bäuerliche Leben festgehalten hat, als hätte es ringsum keinen Krieg gegeben.

Im ersten Weltkrieg, in dem es nichts zu essen gab, hatten die Großeltern ihre Ziege schlachten lassen und die Oma aß keinen Bissen davon.

Das Konfirmationshemd für meinen Vater nähte die Großmutter wegen des damaligen Stoffmangels aus dem weißen Streifen einer Deutschlandfahne. Es war schnell mürbe und zerfiel. Die Konfirmation wird es überstanden haben.

Mein Großvater wurde nach Nürnberg versetzt. Vielleicht hat er darum gebeten, damit der Eitelfritz auf die Mittelschule gehen kann, in Weißenburg war keine mittlere Reife zu machen, soweit ich weiß.

Meine Großmutter ist in eine tiefe Depression gefallen, so sehr hat ihr das Land, hat ihr Hörlbach gefehlt. Sie hat ihren Haushalt nicht mehr versorgen können. Das muß Monate wenn nicht ein Jahr so gegangen sein.

Später haben sich die Großeltern ein Haus am Stadtrand leisten können und hatten damit wieder einen Garten. Mein Vater ging nach der russischen Gefangenschaft dorthin zurück. Da bin ich aufgewachsen. Das war mein Hörlbach.

Auf dem Weg runter nach Ellingen stand die Fern, die Föhre. Mein Vater hat als Kind gedacht, daß an diesem markanten Punkt die Ferne beginnt, weil doch der Baum so hieß. Sein allererstes Ölbild, das er gemalt hat, stellt die Fern dar und ganz winzig darunter die Hörlbacher Kirche.

Mein Vater ist nie ein Stadtmensch geworden. Daß er seine Jugend auf dem Land als Idyll erlebt hat, war sein Glück und sein dauernder Bezugspunkt, wenn das Leben ihm grausam mitgespielt hat.

So wie er an Hörlbach gebunden war, ist es nur auf wundersame Weise logisch, daß Sie hier auf die Idee gekommen sind, an ihn mit einem Gedenkstein zu erinnern. Ich bedanke mich dafür in seinem Namen.